Medizinprodukte bilden einen hochregulierten Markt, der im Umfang der regulatorischen Anforderungen so vermutlich nur von Arzneimitteln übertroffen wird. Will ein Hersteller ein Medizinprodukt in Verkehr bringen, so muss er in Abhängigkeit vom Risikopotential des Produkts eine ganze Reihe von Nachweisen erbringen, um insbesondere Leistung und Sicherheit des Produkts zu belegen. Sind die wesentlichen Leistungs- und Sicherheitsanforderungen der europäischen Medical Device Regulation (MDR) nicht erfüllt, so kann das Produkt nicht als Medizinprodukt verkauft werden.
Warum gibt es Unterschiede?
Je nach Art und Risikopotential kann es sein, dass Literaturverweise und einzelne Untersuchungen ausreichen, um diese Anforderungen zu belegen. Mit steigendem Risiko und steigender Komplexität, nimmt allerdings auch der Umfang der zu erbringenden Nachweise zu. Dies gilt auch für aktive Medizinprodukte, also solche, die nicht mit der Muskel- oder Schwerkraft sondern einer externen Energiequelle betrieben werden. Findet sich neben der CE-Kennzeichnung noch eine vierstellige Kennnummer, so deutet dies darauf hin, dass es sich um ein Produkt mit höherer Risikoklasse handelt, da dies ein Verweis auf eine benannte Stelle ist, die zusätzlich in den Nachweisprozess involviert war. Benannte Stellen überprüfen gewisse Produkt- oder Herstellungsaspekte unabhängig und sorgen somit für eine höhere Sicherheit.
Es wird also deutlich, dass es ein teures Unterfangen darstellt, ein Medizinprodukt in Verkehr zu bringen. Daher ist es für manche Hersteller lohnenswert zu überlegen, gewisse Produkte gar nicht als Medizinprodukte auf den Markt zu bringen, sondern z.B. als kosmetische Artikel. Dieses Phänomen findet man häufig in der Podologie / Fußpflege. Podologen gehören den Heilberufen an und erbringen medizinische Leistungen, weswegen Sie Medizinprodukte verwenden müssen. Fußpfleger hingegen dürfen nur an gesunden Füßen arbeiten und könnend daher auf Nicht-Medizinprodukte zurückgreifen. Deswegen bieten die großen Hersteller und Lieferanten in diesem Bereich Produktpaletten für beide Zielgruppen an. Nicht selten sind Podologen dann versucht, die preiswerteren Nicht-Medizinprodukte zu verwenden. Der Preisunterschied ergibt sich aus den oben genannten Anforderungen an die Markteinführung, denen Nicht-Medizinprodukte nicht unterliegen.
Was sind die Folgen wenn medizinische Fachkräfte Nicht-Medizinprodukte am Patienten einsetzen?
Der wichtigste Aspekt betrifft die Haftung: Bringt ein Hersteller ein Medizinprodukt auf den Markt, so ist er verpflichtet eine EU-Konformitätserklärung auszustellen. Auf dieser erklärt er, mit welchen Regelwerken, das Produkt konform ist, d.h. welchen Anforderungen es entspricht. Damit geht er eine Haftung für dieses Produkt im Hinblick auf die Anforderungen ein:
„Indem der Hersteller die EU-Konformitätserklärung erstellt, übernimmt er die Verantwortung dafür, dass das Produkt den Anforderungen dieser Verordnung sowie allen anderen für das Produkt geltenden Rechtsvorschriften der Union entspricht." – Art. 19 (3) MDR
Kommt es also zu einer design- oder produktbedingten Fehlfunktion, so haftet der Hersteller hierfür. Verwendet der Anwender jedoch ein Nicht-Medizinprodukt, so existiert keine Konformitätserklärung und es besteht auch kein Anspruch auf Haftung durch den Hersteller bei medizinischem Gebrauch. Im Gegenteil, durch die Anwendung eines Nicht-Medizinprodukts im medizinischen Kontext, wird es durch den Anwender zu einem Medizinprodukt umdefiniert und der Anwender selbst haftet im Sinne eines Herstellers gem. Art. 16 MDR. Es gelten dann auch die Bestimmungen des Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes (MPDG) und darauf aufbauend auch der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) für dieses Nicht-Medizinprodukt:
„Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Produkte im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2017/745 [= MDR]" – §2 (1) MPDG
Somit fällt jedes Produkt, das mit einer medizinischen Zweckbestimmung durch professionelle Anwender eingesetzt wird, in den Geltungsbereich. Streng genommen ist es aber ohnehin nicht zulässig Nicht-Medizinprodukte für Gesundheitsbehandlungen einzusetzen, denn bei solchen Produkten sind Leistung und Sicherheit schließlich nicht durch den Hersteller belegt. Das MPDG untersagt die Verwendung von Produkten, bei denen die Sicherheit angezweifelt werden muss:
„Es ist verboten, ein Produkt [...] zu betreiben oder anzuwenden, wenn [...] der begründete Verdacht besteht, dass das Produkt, selbst wenn es sachgemäß angewendet, instandgehalten und seiner Zweckbestimmung entsprechend verwendet wird, die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten, der Anwender oder Dritter unmittelbar oder mittelbar in einem Maß gefährdet, das nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften nicht mehr vertretbar ist [...].“ – §12 (1) MPDG
Somit erübrigt sich eigentlich schon die Überlegung, ob es ratsam ist, ein kosmetisches Instrument im Rahmen einer medizinischen Behandlung zu verwenden.
Wie verhalte ich mich im Einkauf?
Man muss an dieser Stelle auch die Hersteller und Händler mit in die Gleichung setzen. Denn sie sind es, die ggü. ihren Kunden klar machen müssen, welche Produkte Medizinprodukte sind und welche nicht. Während die Großhändler dies in den Katalogen i.d.R. deutlich erkennbar machen, sind es grade kleinere Hersteller, die dies gerne unter den Tisch fallen lassen. Tückisch wird es für den Betreiber, wenn ein Hersteller beispielsweise ein Fußpflegegerät auf den Markt bringt, bei dem nur das Handstück als Medizinprodukt in Verkehr gebracht wurde, nicht aber das Gerät selbst. Der Vorteil für den Hersteller liegt auf der Hand: Die Inverkehrbringung eines Handstücks ist deutlich preiswerter und einfacher als die eines aktiven Medizinproduktes mit Motor. Das Problem für den Betreiber ist aber, dass die medizinische Behandlung nicht nur allein von der Sicherheit und Leistung des Handstücks abhängt. Natürlich spielt auch die ordnungsgemäße Funktion des Motors eine entscheidende Rolle. Wenn die tatsächliche Drehzahl nicht der Anzeige entspricht, stehen sowohl Behandlungserfolg als auch Patienten- und Behandlersicherheit auf dem Spiel. Kommt es in so einem Fall zu Fehlfunktionen kann sich der Hersteller aber aus der Verantwortung der Medizinproduktehaftung herausziehen und der Betreiber bleibt hierauf sitzen.
Es ist daher wichtig, dass Betreiber und Anwender mit offenen Augen und kritisch einkaufen sowie unklare Herstellerangaben zum Medizinproduktestatus hinterfragen. Kann der Hersteller nicht für alle behandlungsrelevanten Komponenten des Geräts die Konformität mit der MDR mittels Konformitätserklärung belegen (Achtung: die CE-Kennzeichnung allein reicht nicht als Beleg aus!), so sollte das Produkt nicht für Gesundheitsbehandlungen am Patienten eingesetzt werden - im Interesse aller Beteiligten.