Wann immer ein Reinraum zu qualifizieren ist, steht an erster Stelle die Festlegung des Prüfungsumfangs gemeinsam mit dem Betreiber. Neben der notwendigen ISO-Klassifizierung nach Teil 1 der ISO 14644 gibt es noch weitere sog. wahlfreie Prüfungen. Ist der Katalog der durchzuführenden Prüfungen festgelegt, stellt sich spätestens bei der ersten Requalifizierung die Frage, in welchem Betriebszustand die Prüfung durchzuführen ist. Bei der erstmaligen Abnahme steht diese Frage i.d.R. nicht im Raum, weil im Rahmen einer kompletten Erstqualifizierung mit Installations-, Betriebs- und Leistungsqualifikation die jeweiligen drei Betriebszustände Bereitstellung, Leerlauf und Betrieb/Fertigung kongruent abgedeckt werden können. Doch in welchem Betriebszustand prüfe ich im nächsten Jahr?
Die ISO 14644-3 gibt für alle Prüfungen klar vor, dass der gewählte Betriebszustand im Prüfbericht stets anzugeben ist. Welcher wann gewählt werden soll, lässt die Norm jedoch offen, spricht aber von ggf. mehreren Betriebszuständen (B.1.4):
"Nach Vereinbarung zwischen Kunde und Lieferant sollten die folgenden Angaben und Daten und der Prüfbericht nach Abschnitt 5 für die Klassifizierung oder Prüfung der Anlage aufgezeichnet werden: [...]
h) Betriebszustand oder -zustände; [...]"
Bei größeren Reinraumbereichen wie beispielsweise einer AEMP eines Krankenhauses der Maximalversorgung, das eine ISO-Klassifizierung vorweisen möchte, ist eine jährliche doppelte Beprobung nicht nur sehr aufwändig, sondern darüber hinaus auch extrem kostspielig.
Die ISO 14644-1 sagt zu den Betriebszuständen bei der Klassifizierung (5.1):
"Die Klassifizierung im Betriebszustand Leerlauf oder Fertigung kann auf der Grundlage der Risikobeurteilung der Anwendung regelmäßig durchgeführt werden, üblicherweise jährlich."
Teil 1 weist also darauf hin, dass einer der beiden Betriebszustände - zumindest bei der periodischen Prüfung - grundsätzlich ausreichend sei und die Entscheidung darüber einer Risikobeurteilung unterläge.
Einen Denkanstoß erhalten wir diesbezüglich, wenn wir uns die VDI-Richtlinie 2083 näher anschauen. Diese präzisiert viele Fragen, die von der ISO 14644-Familie offen gelassen wurden. Neben der Empfehlung, die Klassifizierung im Rahmen der erstmaligen Abnahme zunächst in jedem Betriebszustand durchzuführen (s.o.), äußert sich die Richtlinie zum Thema Requalifizierung dahingehend, dass sie "typischerweise" im Leerlauf durchgeführt werde. Heißt das auch, dass sie es sollte? Aus meiner Sicht: Ja!
Versuchen wir uns an einer allgemeinen Risikoanalyse: Bei der erstmaligen Klassifizierung im Betriebszustand "Betrieb" im Rahmen der Leistungsqualifizierung soll über die bloße Funktion der Anlage hinaus, die idealerweise schon im Leerlauf geprüft wurde, die Resilienz der Anlage gegenüber partikulären Belastungen überprüft werden. Ist dies im Rahmen der Erstqualifizerung bestätigt, so ist diese Resilienz nicht erneut zu belegen, wenn sich
a) an der partikulären Belastung durch Personal und Maschinen und
b) an der Funktionsfähigkeit der Anlage
nichts geändert hat, das die Ergebnisqualität gefährden könnte. Die grundsätzliche Fähigkeit der Anlage partikuläre Lasten auszugleichen ist dann bewiesen. Es reicht also für die Requalifizierung aus, eine Klassifizierung im Leerlauf durchzuführen, um Notwendigkeit b) (s.o.) zu prüfen. Die VDI 2083 schreibt in Blatt 3 (4.1.2) hierzu:
"Das Ziel von Requalifizierungsmessungen [...] ist die Sicherstellung fortwährender Übereinstimmung der Reinraumanlage mit den anlagen- und betriebsbezogenen Vorgaben."
Für etwaige Änderungen der Notwendigkeit a) ist der Betreiber verantwortlich und hat den Prüfer in diesem Fall darüber zu informieren. Sind sowohl a) und b) unverändert, ist eine Prüfung im Leerlauf die wirtschaftlich und technisch sinnvollste Lösung. Bei Änderungen von a) sollte eine spezifische Risikobeurteilung durchgeführt und anhand dessen zusammen mit dem Betreiber entschieden werden, welcher Betriebszustand gewählt werden sollte.
Um zusätzlich auf der sicheren Seite zu sein, ist es in jedem Fall ratsam, die Leistung der Anlage durch permanente oder engmaschige Partikelzählungen im Rahmen der Routinekontrollen zu bestätigen.